Ein Bundesgerichtsurteil mit Auswirkung auf die Verwaltungspraxis der ESTV
Sachverhalt
Die Gesellschaft X. … SA mit Sitz in der Schweiz ist mehrwertsteuerpflichtig und hat in der Zeit vom 1. Quartal 2006 bis zum 4. Quartal 2009 an die ebenfalls in der Schweiz domizilierte, mehrwertsteuerpflichtige Gesellschaften A. … SA und B. … SA Innenarchitekturleistungen sowie damit verbundene Management- und Aufsichtsleistungen für zwei Hoteltürme in Qatar erbracht und die Rechnung dafür ohne MWST ausgestellt. Die A. … SA und B. … SA beschäftigen kein Personal und haben lediglich die Leistungen von X. … SA an die Hoteleigentümer in Qatar ebenso ohne MWST weiterfakturiert.
Die ESTV war der Meinung, dass die entsprechenden Rechnungen mit MWST zum Normalsatz ausgestellt sein müssen.
Urteilsbegründung
Sowohl Art. 14 Abs. 2 Bst. a aMWSTG als auch Art. 8 Abs. 2 Bst. f MWSTG enthalten eine (nicht abschliessende) Aufzählung der Dienstleistungen im Zusammenhang mit einem Grundstück, deren Ort der Besteuerung der Ort ist, an dem das Grundstück gelegen ist.
Damit eine Leistung am Ort des gelegenen Grundstücks besteuert wird, müssen folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein:
• Das Grundstück stellt ein zentrales und unverzichtbares Element der Leistungserbringung dar.
• Die Verbindung zwischen der Leistung und dem Grundstück muss charakteristisch sein.
Fazit
Aufgrund der nicht abschliessenden Aufzählung im Gesetzestext sind auch Innenarchitekturleistungen am Ort des gelegenen Grundstücks, also in Qatar, zu besteuern. Die Rechnungen dafür sind ohne Schweizer MWST auszustellen.
Praxisänderungen der ESTV gestützt auf das Urteil des Bundesgerichts 2C_375/2018 vom 24. Oktober 2018
10 Monate nach dem Urteil äussert sich die ESTV dahingehend, dass sie eine Praxisänderung vornehmen wird.
Ziffer 4.2.1 der MWST-Branchen-Info 04 Baugewerbe und Ziffer 2.1.1 der MWST-Branchen-Info 17 Liegenschaftsverwaltung/Vermietung und Verkauf von Immobilien befassen sich mit den Dienstleistungen, die unter Art. 8 Abs. 2 Bst. f MWSTG fallen und dementsprechend am Ort des gelegenen Grundstück zu besteuern sind. Der aktuell gültige Text lautet:
„Die vorstehende Beurteilung nach dem Ort, an dem das Grundstück gelegen ist, setzt einen engen Zusammenhang mit einem individuellen, konkreten Grundstück voraus.“
Nun wird geplant, diesen Text wie folgt zu ergänzen:
„Ein solcher enger Zusammenhang liegt dann vor, wenn die fragliche Dienstleistung derart spezifisch auf die jeweiligen bauseitigen Gegebenheiten zugeschnitten ist, so dass sie nicht unverändert auf andere Gebäude oder Gebäudeteile beziehungsweise Boden übertragen werden kann.“
Die Beispiele für Ort der Immobilie im Ausland resp. Entgelt dafür ohne Schweizer MWST sollen dementsprechend wie folgt ergänzt werden:
„Innenarchitektur-Leistungen (z.B. Ausarbeiten von Plänen, Raumkonzepten, Computerpräsentationen) für ein Einfamilienhaus in Fresse (F), die spezifisch auf dessen bauseitige Gegebenheiten zugeschnitten sind.“
Im Umkehrschluss bedeutet das, dass bei Fertighäusern, die ab der Stange verkauft werden, die Besteuerungsregel nach dem ausländischen Ort des gelegenen Grundstücks nur in Ausnahmefällen angewendet werden kann, weil die Innenarchitekturleistungen selten auf die bauseitige Gegebenheiten im ausreichenden Ausmass spezifisch zugeschnitten sind.