Welcher Zeitpunkt ist massgebend für das Recht auf Vorsteuerabzug: Leistungsempfang oder Rechnungsempfang?

VAT
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Angelina Sulzer
Angelina Sulzer
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24.10.2024
Which point in time is decisive for the right to deduct input tax: receipt of the service or receipt of the invoice?

Sachverhalt

A. betreibt ein seit 2011 im Handelsregister (HR) eingetragenes Einzelunternehmen (EU), das die Durchführung von Steuererstattungs- und Kindergeldverfahren in den europäischen Mitgliedstaaten bezweckt. A. war bis im Februar 2023 Teilhaber einer Kollektivgesellschaft (KG), die die Vertretung europäischer Gastarbeiter in Steuer- und Rechtsfragen europaweit übernimmt und ab dem 30. April 2015 im HR eingetragen war.  

Im September 2020 teilte die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) A. mit, dass er per 1. Januar 2018 in das MWST-Register aufgenommen wird. Seither rechnet sein EU nach der effektiven Methode mit vereinbarten Entgelten ab.  

Im September 2020 stellte die KG dem EU für den Zeitraum vom Q1 2015 bis zum Q3 2020 Steuer-und Rechtsberatungsleistungen von CHF 10'092'667 inkl. MWST in Rechnung und wies darauf hin, dass dieser Betrag bereits beglichen wurde.  

Im Oktober 2020 reichten das EU und die KG gemeinsam die MWST-Abrechnungen von Q1 2018 bis Q3 2020 ein und erläuterten im Begleitschreiben, dass das EU von 2015 bis 2018 ausschliesslich Leistungen im Ausland erbracht habe, die es bei der KG eingekauft hat. Das Entgelt dafür wurde ohne Rechnungsstellung bezahlt. Die KG habe die Rechnung für sämtliche Leistungen vom Q1 2015 bis zum Q3 2020 im September 2020 ausgestellt.  

Daraufhin führte die ESTV eine MWST-Kontrolle beim EU durch, mit Ergebnis einer Steuerforderung von CHF 295'202.

Grundsatz

Nach Art. 28 Abs. 1 Bst. a MWSTG haben steuerpflichtige Personen im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit Anspruch darauf, die ihnen in Rechnung gestellte Inlandsteuer abzuziehen. Der Anspruch auf Vorsteuerabzug (VA) entsteht gem. Art. 40 Abs. 1 MWSTG bei Abrechnung nach vereinbarten Entgelten im Zeitpunkt des Empfangs der Rechnung. Der VA des Leistungsempfängers soll nicht ausgeschlossen sein, wenn der Leistungserbringer dem Leistungsempfänger die Steuer belastet, ihm aber keine Rechnung i. S. von Art. 3 Bst. k MWSTG ausstellt. Art. 59 Abs. 1 der MWST-Verordnung vom 27. November 2009 stellt deshalb klar, dass die Inlandsteuer als in Rechnung gestellt gilt, wenn der Leistungserbringer für den Leistungsempfänger erkennbar von diesem die MWST eingefordert hat.  

Bundesgerichtsentscheid 9C_756/2023 vom 31. Juli 2024

Die ESTV war der Ansicht, dass das EU kein Recht auf VA nach Art. 28 MWSTG habe, obwohl es im Zeitpunkt des Rechnungsempfangs (Art. 40 Abs. 1 Ingress MWSTG) die Voraussetzungen dafür erfüllte, weil es im Zeitpunkt des Leistungsempfangs nicht MWST-pflichtig war. Es könne höchstens eine Einlageentsteuerung (Art. 32 MWSTG) vornehmen.

Sowohl in Art. 28 Abs. 1 als auch in Art. 40 Abs. 1 MWSTG stellt der Gesetzeswortlaut im Zusammenhang mit dem VA eindeutig nicht auf den Leistungsempfang, sondern auf den Rechnungsempfang ab bzw. allenfalls – i.V.m. Art. 59 Abs. 1 MWSTV – auf die erkennbare Einforderung der MWST durch den Leistungserbringer.  

Im Zeitpunkt der Erbringung der Beratungsleistungen war A. mangels hinreichender Umsätze im Inland von der Steuerpflicht befreit, dennoch unternehmerisch tätig, indem er die bezogenen Beratungsleistungen an seine Kunden im Ausland weiterverrechnet und so seinerseits Beratungsleistungen (im Ausland; Art. 8 Abs. 1 MWSTG) erbracht hatte. Da A. die vorsteuerbelasteten Leistungen also im Rahmen seiner zum VA berechtigenden unternehmerischen Tätigkeit «verbrauchte», gibt es keinen Grund, ihm auf den streitbetroffenen Leistungen den VA zu verweigern.

Fazit

Massgebend für den VA ist die MWST-Pflicht zum Zeitpunkt des Rechnungsempfangs, vorausgesetzt die steuerpflichtige Person hat die vorsteuerbelasteten Leistungen im Rahmen ihrer unternehmerischen Tätigkeit und nicht im privaten Bereich oder für die Erstellung von ausgenommenen Leistungen verbraucht resp. die Leistungen wurden als steuerbare Leistungen weiterverrechnet.

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